Mut zur eigenen Courage Kulturhauptstadt zu werden

Helga Rabl-Stadler

Helga Rabl-Stadler Festspielpräsidentin Salzburg Februar 2020

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Redebeitrag zum Empfang „Auf dem Weg zur Kulturhauptstadt Europas 2024“ am 19.01.2023, Trinkhalle Bad Ischl

„Sind wir als Stadt, als Region bereit, uns in Richtung Europa zu öffnen? Sind wir gewillt, in einen Dialog mit dem Rest Europas und der Welt einzutreten und über den Beitrag, den wir zum Europäischen Integrationsprojekt leisten wollen, zu reflektieren? Sind wir als Stadt, als Region bereit, die vielen, verschiedenen Ausdrucksformender Kultur, die es bei uns gibt – einschließlich jener, die von Migrantengruppen kommen – weiter zu erkunden, und unsere Bevölkerung mit dem Reichtum und der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, die von anderswo kommen, zu konfrontieren?
Wenn Ihre Antwort auf alle oben genannten Fragen nicht eindeutig „ja“ ist, ist Ihre Stadt, Ihre Region nicht bereit, eine Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ einzureichen bzw. diesen zu tragen.“

So klar, so unmissverständlich, so anspruchsvoll formulierte die Europäische Kommission ihren Leitfaden für Städte und Regionen, die sich um den Titel Kulturhauptstadt Europas in den Jahren 2020-2033 bewerben wollen.

Das Salzkammergut hat diese Herausforderung angenommen, sich beworben und offensichtlich die gestrenge Jury überzeugt, mehr als eine andere österreichische Stadt, der ich das durchaus auch zugetraut hätte.

Was für eine Chance, aber durchaus auch: was für ein Risiko!

Mit dem Salzkammergut stellt sich nicht eine Stadt mit einem Bürgermeister und einem Tourismusdirektor, wie einst die Landeshauptstädte Graz und Linz. Es stellen sich 23 Orte mit 23 Bürgermeistern und 23 Tourismusdirektoren.

Was in dieser Situation in meinen Augen besonders wichtig ist, ist der Einsatz, die Freude, das Engagement von Ihnen, den Einwohnern und Einwohnerinnen. Die Geschichte der Kulturhauptstädte hat gezeigt, dass das Ausmaß der Bürgerbeteiligung ausschlaggebend für den Erfolg ist.

Elisabeth Schweeger, der wahnsinnig wenig Zeit zur Verfügung steht, will und muss Sie alle mitnehmen. Damit Kulturhauptstadt kein schöner Titel für ein Jahr bleibt, sondern ein Programm wird, das diese herrliche Region kulturell, sozial und wirtschaftlich zukunftsfit macht.

Zur Unterstützung mit dieser Rede bin ich gekommen. Als ehemalige Präsidentin der Salzburger Festspiele, deren Gründern und ihrem Glauben an die Kraft der Kunst wir Salzburger so viel verdanken!

Als Sonderbotschafterin des Außenministeriums für kulturelle Angelegenheiten.

Gerade Alexander Schallenberg ist fest davon überzeugt, dass Kulturpolitik überall in der Welt ein wichtiges Tool der Außenpolitik sein kann und sein muss. Dass in Österreich, die wir militärisch ein Zwerg, aber kulturell eine Großmacht sind, die Kulturpolitik geradezu ein Synonym für Sicherheitspolitik ist.

Kulturhauptstädte bieten den Bürgern den Rahmen, die Rolle ihrer Stadt, ihrer Region in Europa zu überdenken, sicherer zu werden, wer sie eigentlich sind, was sie eigentlich für ihre Zukunft wollen.

Sie alle in dieser Region sind als Teil der Kulturhauptstadt eingeladen, sich mit ihrer Identität im Kleinen (also in Bezug auf die anderen Orte der Region) und im Großen, das heißt in Bezug auf Europa auseinanderzusetzen.

Ganz im Sinne von Adalbert Stifter: Sie können die kleine Welt sein, in der die Große Ihre Probe hält.

Sie können Tradition als Kraftquelle nutzen, statt bloß als Ruhekissen.

Sie können das Neue gemeinsam mit Künstlern und Künstlerinnen aus ganz Europa erfinden und finden, denn diese Bewerbung bedeutet auch Bewegung.

Sie können im Regionalen ein Beispiel geben für das große Europa der 27 Länder – Vielfalt als Reichtum, nicht als Schwäche.

Oder, um den geliebten Stefan Zweig zu zitieren, der von der wunderbaren Birgit Minichmayr so beeindruckend in ihrer Lesung zum Leben erweckt wurde:

1936 „Überall können einige Menschen, die guten Willens sind, das Wunder vollbringen, sich zu verstehen“.

Und Zweig weiter: „Wir müssen eine Jugend lehren, den Hass zu hassen, weil er unfruchtbar ist und die Freude des Daseins, den Sinn des Lebens zerstört, wir müssen die Menschen heute und morgen erziehen, in weiteren Dimensionen zu denken und zu fühlen. Wir müssen zeigen, dass es Engherzigkeit und Absperrung bedeutet, Kameradschaft nur im eigenen Kreise, im eigenen Lande zu begrenzen. Wir müssen am eigenen Beispiel zeigen, wir Älteren, dass freies Bewundern fremder Werte die innere Kraft der Seele nicht mindert, sondern im Gegenteil nur erweitert und dass nur dem Menschen immer wieder eine neue geistige Jugend geschenkt ist, der sich seinen Idealismus und Enthusiasmus zu erneuern weiß.

Wir dürfen um der Wahrheit willen nicht verschweigen, dass mächtige egoistische Kräfte jeder Verständigung entgegenarbeiten. Seien wir also entschlossen und geduldig zugleich: Lassen wir uns nicht beirren durch alle Unvernunft und Unhumanität der Zeit, bleiben wir dem zeitlosen Gedanken der Humanität treu – es ist nicht so schwer! Überall können einige Menschen, die guten Willens sind, das Wunder vollbringen, sich zu verstehen.“

Hier muss ich Zweig ein bisschen widersprechen. Es ist manchmal recht schwer, in einer Zeit da Spaltung und Verbalradikalismus ein gefährlich großes mediales Echo finden!

Umso wichtiger die Funktion einer Kulturhauptstadt. Sie kann Leuchtturmprojekt sein. Und das Salzkammergut hat das Zeug, Sie haben das Zeug, Leuchtturmprojekt zu sein.

Sie sind seit Jahrzehnten Sehnsuchtsort und Sommerfrische Paradies.

Theodor Herzl, Gustav Mahler, Sigmund Freud, Hofmannsthal, Schnitzler usw. Sie alle bezogen schöpferische Kraft und geistige Inspiration aus diesem schönen Land mit Suchtcharakter.

Wie schrieb doch der leider ziemlich vergessene Dichter Jakob Wassermann: „Altaussee ist kein Dorf, sondern eine Krankheit, die man nicht mehr los wird.“ – Mich hat sie auch befallen.

Auch die Idee Festspiele in Salzburg als eines der ersten Friedensprojekte nach dem 1. Weltkrieg zu gründen, wurde in dieser Region bei Treffen in Aussee, in Bad Ischl mitgedacht.

Die Künstler dieser schwierigen Jahre suchten in der Schönheit der Barockstadt Salzburgs, in der Verträumtheit des Salzkammerguts Inspiration und – ich verwende absichtlich immer wieder das Wort „Kraft“.

Aber auch hier möchte ich nochmals aus dem Bewerbungsprozess zitieren: „Titel Kulturhauptstadt Europas ist kein Preis für eine besonders schöne, kulturreiche Stadt, sondern ein Stipendium für Stadtentwicklung.“

Die Stadt, in unserem Fall die Region, erhält den Titel für ihr zukünftiges Programm, nicht aufgrund des Kulturerbes. Der Kern des Kulturhauptstadtprojektes muss ein Kulturprojekt sein, nicht bloß eine Marketinggeburt, ein Tourismusturbo. Dass eine kulturell anspruchsvolle Region sinnstiftend für ihre Einwohner und Einwohnerinnen aber glücklicherweise oft auch wirtschaftlich erfolgbringend ist, haben Salzburg und Sie alle längst bewiesen. OÖ und die Steiermark sind Bundesländer mit einer interessanten Kulturszene. Und sowohl Landeshauptmann Thomas Stelzer als Landeshauptmann Christopher Drexler zeigen allen durch die Tatsache, dass sie die Kultur in ihre Kompetenz genommen haben, wie wichtig ihnen diese als Identitätsstifterin ist.

Als plötzlich in Coronazeiten der kalte Begriff „systemrelevant“ alles politische Handeln zu beeinflussen drohte – Baumarkt ist wichtiger als Theater – konnten wir – die Salzburger Festspiele waren dabei federführend – beweisen, Kunst und Kultur sind systemrelevant. Oder doch lieber mit Festspielgründer Max Reinhardt: „Die Kunst ist kein Luxusmittel für die Reichen und Saturierten, sie ist ein Lebensmittel“ – wie das Salz. Den Salzkammergut´schen Spruch „Brot und Salz, Gott erhalt´s“ könnte man gerade als Kulturhauptstadt abwandeln in „Brot, Kultur und Salz, Gott erhalt´s“.

Dass sich das Salzkammergut mit dem Spruch „Kultur ist das neue Salz“ beworben hat, hat der damaligen Jury sehr gefallen. Ich habe gehört, dass manche hier nicht viel mit dem Satz anfangen können – Naja, klingt doch gut und hat einen richtigen Kern.

Das Salz brachte Wohlstand für eine ganze Region – als Salzburgerin weiß ich, wovon ich spreche. Das Salz bleibt wichtig – die Kultur kann heute für alle Teile der Kulturhauptstadt Kraftquelle sein:

  • Als Impulsgeberin für die Entwicklung einer ganzen Region
  • Als Identitätsstifterin in global rastlosen Zeiten
  • Als Türöffnerin zu anderen Denk- und Handlungsweisen in anderen Gebieten unseres vielfältigen Europas.

Und mit Dir, Herr Landeshauptmann Stelzer freue ich mich schon heute über die große Bedeutung, die OÖ kulturell 2024 haben wird.

Ihr steuert gemeinsam mit der Steiermark die Gemeinden zur Kulturhauptstadt Salzkammergut bei.

Ihr feiert den 200-jährigen Geburtstag des herrlichen Anton Bruckner, dessen weltweit gehörte Musik in Ansfelden ihren Anfang nahm. Das Bruckner-Jubiläum und die Kulturhauptstadt 2024 werden beide Projekte inhaltlich, medial und marketingmäßig beflügeln. 1 + 1 = hier viel mehr als 2.

Aber auch eine große Gratulation, dass Anna Jermolaeva mit Kuratorin Gabriele Spindler 2024 den österreichischen Beitrag zur Biennale in Venedig kuratieren wird.

Von Jermolaeva gibt es derzeit im Schlossmuseum Linz eine große Werkschau. Ihr Lebenslauf verdient es gerade in der heutigen Zeit herausgestellt zu werden. Sie wurde 1970 in St. Petersburg gebore, war Mitgründerin einer Oppositionspartei und einer unabhängigen Zeitung und musste deshalb 1989 Russland verlassen. Sie bekam in Österreich Asyl und ist jetzt auch Professorin an der Kunstuni Linz. Das heißt, es geht nicht darum, welche Nationalität man hat, sondern die Haltung zählt, um in Österreich Schutz zu finden.

Auch das Außenministerium plant ein spezielles Programm für Künstler und Künstlerinnen aus der Ukraine, aber auch aus Weißrussland und Russland, deren Kreativität unterdrückt wird bzw. die sogar mit dem Tod bedroht werden.

Ich hoffe Ihnen mit meinen Gedanken Mut zur eigenen Courage gemacht zu haben.

Das tolle an dem Titel ist doch: Kulturhauptstadt erweckt den Eindruck, dass ein Kontinent und seine Bevölkerung jedes Jahr feierlich seine kulturelle Mitte neu bestimmt. Und der Nabel der Welt zu sein, das ist doch den Österreichern nicht unsympathisch, und schon gar nicht den Menschen in dieser Region.

Beenden möchte ich mein Plädoyer mit Stefan Zweig, den großen, auch in bösen Zeiten stets an Europa glaubenden Humanisten:

„Die Entwicklung jeder Idee geht nicht Schritt für Schritt in regelmäßigem Anstieg – auf starke Fortschritte folgen heftige Rückschläge, aber so heftig sie sein mögen, wir dürfen sie nicht für dauerhaft halten. Denn immer setzen die entscheidenden Genesungen knapp an den gefährlichsten Krisen ein, nie reißt der Faden völlig ab, nie wird die geistige Arbeit und Emporarbeit der Menschheit gänzlich unterbrochen – immer sind andere Länder, wenn ein Land versagt, immer eine andere Sphäre, die sich erlichtet, wenn die eine verdunkelt.“

Möge es Ihnen gemeinsam gelingen, mit der Kulturhauptstadt-Idee das Salzkammergut zur erlichteten Sphäre zu machen, obwohl oder gerade weil in Europa und der Welt so Vieles im Dunkel liegt.

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